Kapitel 1.2
El Niño im Detail
Um noch näher auf die Entstehungsgründe eines El
Niño- Phänomens einzugehen, werden in diesem Kapitel
die Einflüsse der Südlichen Oszillation (SO) und der
Walkerzirkulation auf El Niño genauer betrachtet. Außerdem
wird die entscheidende Rolle der Kelvinwelle mit ihren Folgen
erklärt.
Um ein El Niño- Ereignis frühzeitig prognostizieren
zu können, nimmt man den Südlichen Oszillationsindex
(SOI) zur Hilfe. Dieser gibt die Luftdruckdifferenz zwischen
Darwin (Nordaustralien) und Tahiti an. Hierbei werden die Luftdrücke
im Monatsdurchschnitt voneinander abgezogen. Die Differenz stellt
dann den SOI dar. Da auf Tahiti normalerweise immer höherer
Luftdruck als in Darwin herrscht und man so ein Hochdruckgebiet
über Tahiti und ein Tiefdruckgebiet über Darwin vorfindet,
ist der SOI in diesem Fall positiv. In El Niño- Jahren
oder als Ankündigung eines El Niños ist der SOI
negativ. Es haben sich demnach die Luftdruckverhältnisse
über dem Pazifik vertauscht. Je größer die Luftdruckdifferenz
zwischen Tahiti und Darwin ist - d.h. je höher der SOI
ist -, desto stärker tritt El Niño bzw. La Niña
auf.
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7.Diese Abbildung stellt die Walkerzirkulation und
die dadurch veränderten Wetterverhältnisse
in einem El Niño- Jahr dar.
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Da La Niña das gegenteilige Phänomen von El Niño
ist, findet es unter den umgekehrten Bedingungen statt, sprich
bei einem hohen positiven SOI. Der Zusammenhang zwischen der
Schwankung des SOI und dem Eintreten eines El Niño-
Phänomens hat im englischen Sprachraum zu der Bezeichnung
“ENSO” (El Niño Südliche Oszillation) geführt.
Der SOI ist also ein wichtiger Indikator, der Auskunft über
eine bevorstehende Klimaanomalie gibt.
Die Südlichen Oszillation (SO), auf deren Basis der SOI
beruht, bezeichnet die Luftdruckschwankungen im tropischen Pazifik.
Es ist eine Art Schaukelbewegung zwischen den Luftdruckverhältnissen
in Ost- und Westpazifik, welche durch Verschiebung von Luftmassen
ausgelöst wird. Diese Verschiebung der Luftmassen wird
durch die unterschiedlich starke Ausprägung der Walkerzirkulation
veranlasst. Die Walkerzirkulation wurde nach ihrem Entdecker
Sir Gilbert Walker benannt, der Anfang des 20. Jahrhundert durch
seine Forschungsarbeiten in der ganzen Welt die ersten Erkenntnisse
zur SO dargebracht hat. Er konnte wegen unzureichender Daten
nur die Auswirkungen der SO beschreiben, jedoch noch nicht schlüssig
die Ursachen dafür erklären. Erst der norwegische
Meteorologe J. Bjerknes war 1969 in der Lage, die Walkerzirkulation
vollständig zu erklären.
Nach seinen und den heutigen Erkenntnissen ist die von Ozean
und Atmosphäre abhängige Walkerzirkulation wie folgt
zu erklären. Man unterscheidet hierbei noch zwischen einer
von El Niño bestimmten Zirkulation und einer normalen
Walkerzirkulation.
Bei der normalen Walkerzirkulation wird von kaltem Oberflächenwasser
im tropischen Ostpazifik ausgegangen, welches durch die
Küstenauftriebssysteme laufend mit neuem kaltem Wasser
versorgt wird (Humboldtstrom) und von warmem Wasser vor Südostasiens
Küsten. Diese unterschiedlichen Oberflächentemperaturen
sind das Entscheidende bei der Walkerzirkulation. Über
dem kalten Wasser befindet sich kalte und trockene Luft, welche
durch bodennahe Luftströmungen (Südostpassatwinde)
nach Westen getrieben wird. Dabei erwärmt sich diese und
nimmt Feuchtigkeit auf, so dass sie über dem Westpazifik
aufsteigt. Ein Teil dieser Luft strömt polwärts ab
und bildet die Hardlyzelle. Der andere Teil bewegt sich in der
Höhe entlang des Äquators in Richtung Osten, sinkt
wieder ab und schließt so die Zirkulation. Das Besondere
an der Walkerzirkulation ist, dass sie nicht durch die Corioliskraft
abgelenkt wird, da sie genau über dem Äquator verläuft,
wo diese nicht wirkt.
Um die Entstehungsgründe eines El Niños
in Abhängigkeit von SO und Walkerzirkulation besser verstehen
zu können, nehmen wir das El Niño- Südliche
Oszillation- System zur Hilfe. Anhand dessen kann man einen
geschlossenen Kreislauf ausmachen. Der nun folgende Regelmechanismus
ist stark auf das Subtropenhoch angewiesen. Wenn dieses sehr
stark ausgeprägt ist, bewirkt es einen starken Südostpassat.
Jener verursacht eine verstärkte Tätigkeit der Auftriebsgebiete
vor der südamerikanischen Küste und somit niedrige
Oberflächentemperaturen an der Meeresoberfläche in
Äquatornähe. Diesen Zustand bezeichnet man als La
Niña- Phase, was genau das gegenteilige Phänomen
zu El Niño ist.
Die Walkerzirkulation wird von kalten Oberflächentemperaturen
zusätzlich angetrieben. Dies führt zu niedrigem Luftdruck
in Djakarta (Indonesien) und damit verbunden zu geringeren Niederschlägen
auf Canton Island (Polynesien). Durch die Abschwächung
der Hardlyzelle findet eine Luftdruckabnahme im Subtropenhoch
statt, mit der Folge, dass die Passate schwächer werden.
Der Auftrieb vor Südamerika nimmt ab und lässt dadurch
die Oberflächentemperaturen im äquatorialen Bereich
des Ostpazifiks merklich ansteigen. In dieser Situation ist
der Eintritt eines El Niños äußerst wahrscheinlich.
Das warme Wasser vor Peru, das bei einem El Niño- Ereignis
als die bekannte Warmwasserzunge besonders stark ausgeprägt
ist, verursacht eine Abschwächung der Walkerzirkulation.
Damit verbunden sind heftige Regenfälle in Canton Island
und fallender Luftdruck in Djakarta. Das letzte Glied in diesem
Kreislauf ist die Verstärkung der Hadleyzirkulation, welche
ein starkes Subtropenhoch als Folge hat.
Dieser vereinfachte Regelmechanismus der gekoppelten atmosphärisch-
ozeanischen Zirkulationen im tropischen und subtropischen Südpazifik
erklärt das Wechselspiel zwischen El Niño und La
Niña. Wenn man sich nun das El Niño- Phänomen
noch etwas genauer anschaut, dann sind die äquatorialen
Kelvinwellen von größter Bedeutung. Sie gleichen
nicht nur die unterschiedlichen Meeresspiegelhöhen im Pazifik
während eines El Niños aus, sondern setzen auch
die Sprungschicht im äquatorialen Ostpazifik herunter.
Diese Veränderungen haben fatale Folgen für die marine
Tierwelt und für die örtliche Fischereiindustrie.
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9. Darstellung einer äquatorialen Kelvinwelle,
die auf die Küste trifft und als Rossbywelle
reflektiert oder als Küsten-Kelvinwelle abgelenkt
wird.
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Die äquatorialen Kelvinwellen entstehen, wenn die Passatwinde
nachlassen und sich der von ihnen verursachte Wasserberg nach
Osten bewegt. Der Wasserberg lässt sich durch den 60 cm
höheren Meeresspiegel vor Indonesien erkennen. Ein anderer
Entstehungsgrund können die umgedrehten bodennahen Luftströmungen
der Walkerzirkulation sein, welche so diese Wellen auslösen.
Das Vorankommen der Kelvinwellen muss man sich so vorstellen,
wie das Ausbreiten von Wellen in einem gefüllten Wasserschlauch.
Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Kelvinwellen an der Meeresoberfläche
hängt im wesentlichen von der Wassertiefe und der Erdanziehungskraft
ab. Im Durchschnitt benötigt eine Kelvinwelle zwei Monate,
um den Meeresspiegelunterschied von Indonesien nach Südamerika
zu übertragen. Nach gründlichen Beobachtungen von
Satellitenaufnahmen wurde die Ausbreitungsgeschwindigkeit der
Kelvinwellen mit 2,5 m/s bei einer Wellenhöhe von 10 bis
20 cm errechnet. Auf den pazifischen Inseln werden die Kelvinwellen
als Pegelstandsschwankungen registriert.
Die Kelvinwellen treffen nach Überquerung des tropischen
Pazifiks an der Südamerikanischen Westküste auf und
bringen eine Meeresspiegelerhöhung von ca. 30 cm mit sich,
so beim El Niño 97/98 um die Jahreswende. Diese Veränderung
bleibt natürlich nicht ohne Folgen. So bewirkt die Wasserstandserhöhung
ein Absinken der Sprungschicht, was fatale Folgen für die
gesamte marine Tierwelt hat. Denn mit dem Auftrieb kommt nun
- durch das Absinken der Sprungschicht - nicht mehr kaltes und
nährstoffreiches, sondern warmes und nährstoffarmes
Wasser an die Oberfläche.
Kurz vor dem Auftreffen auf die Küste teilt sich die Kelvinwelle
in zwei unterschiedliche Richtungen auf. So werden die direkt
auf dem Äquator verlaufenden Wellen nach dem Aufprall an
der Küste als Rossbywellen reflektiert. Sie bewegen sich
nun in äquatorialer Richtung mit einem Drittel der Geschwindigkeit
der Kelvinwelle von Osten nach Westen. Die übrigen Teile
der äquatorialen Kelvinwelle werden als Küsten- Kelvinwellen
polwärts nach Norden und Süden abgelenkt. Die äquatorialen
Kelvinwellen haben, nachdem der Meeresspiegelunterschied ausgeglichen
ist, ihre Aufgabe im Pazifik erfüllt.
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